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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Eilrechtsschutz nach Freistellung durch Arbeitgeber

Eilrechtsschutz nach Freistellung durch Arbeitgeber

Ein freigestellter Arbeitnehmer, der im Wege des einstweiligen Rechtsschutz seine Weiterbeschäftigung durchsetzen will, kann durch langes Zuwarten die für eine einstweilige Verfügung nach § 940 ZPO erforderliche Dringlichkeit der Weiterbeschäftigung selbst widerlegen. Ein solches (zu) langes Zuwarten ist jedoch noch nicht anzunehmen, solange der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber noch zielgerichtete Verhandlungen über eine gütliche Beilegung des Streits führt.

Eine Mitarbeiterin begehrte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ihre Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis mit der Mitarbeiterin, die auch Betriebsratsvorsitzende ist, außerordentlich fristlos zu kündigen, weil die Mitarbeiterin in den von ihr geführten Arbeitszeitaufzeichnungen für den Monat September 2021 den 03.09.2021 als Arbeitstag angegeben hatte. Dieser Tag war zwar ursprünglich als Arbeitstag vorgesehen, tatsächlich wurde er jedoch als Ausgleichstag für einen Arbeitssonntag freigegeben. Die Mitarbeiterin sprach von einem Versehen, die Arbeitgeberin sah dies als (versuchten) Arbeitszeitbetrug an. Da für die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich ist, beantragte die Arbeitgeberin zunächst beim Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung der Mitarbeiterin. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung nicht zu. Die Arbeitgeberin beantragte sodann beim Arbeitsgericht die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung; das Verfahren ist noch anhängig und noch nicht entschieden. Am 12.10.2021 stellte die Arbeitgeberin die Mitarbeiterin wegen des aus ihrer Sicht begangenen versuchten Arbeitszeitbetrugs einseitig und widerruflich von ihrer Verpflichtung zur Erbringung von Arbeitsleistungen unter Fortzahlung der Vergütung frei.
Nachdem im Gütetermin des Zustimmungsersetzungsverfahrens beim Arbeitsgericht am 03.12.2021 keine Einigung erzielt wurde, beantragte die Mitarbeiterin am 17.12.2021 die einstweilige Weiterbeschäftigungsverfügung beim Arbeitsgericht mit dem Ziel, wieder als Reinigungskraft beschäftigt zu werden. Die Arbeitgeberin meinte, die Mitarbeiterin habe kein gesteigertes berufliches Interesse an einem weiteren Arbeitseinsatz dargelegt, so dass die Voraussetzungen für einen Eilantrag daher nicht vorlägen.

Das Gericht gab der Mitarbeiterin Recht und verurteilte die Arbeitgeberin dazu, die Mitarbeiterin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Reinigungskraft weiter zu beschäftigen. Der Antrag der Mitarbeiterin war nicht zu spät gestellt worden. Zwar kann ein Arbeitnehmer, der einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nimmt, durch langes Zuwarten die nach § 940 ZPO erforderliche Dringlichkeit der einstweiligen Verfügung selbst widerlegen (vgl. LAG Hessen, Urt. v. 05.07.2006, Az. 2 SaGA 632/06). Ein langes Zuwarten liegt vor, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis der Rechtsbeeinträchtigung längere Zeit untätig bleibt und seinen Anspruch nicht (gerichtlich) geltend macht. Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber noch Verhandlungen über eine gütliche Beilegung des Streits führt. Dies gilt jedenfalls, solange diese zielgerichtet von beiden Parteien geführt werden. In diesem Fall bleibt der Arbeitnehmer gerade nicht untätig, sondern bemüht sich aktiv um die Durchsetzung seiner Rechtsposition zur Erreichung einer Lösung der Auseinandersetzung und sei es auch nur in Form eines Kompromisses. Solange die Verhandlungen geführt werden, bleibt die Angelegenheit dringlich. Erst wenn diese gescheitert sind, hat der Arbeitnehmer den Beschäftigungsanspruch alsbald geltend zu machen (vgl. LAG Hessen, Urt. v. 10.05.2010, Az. 16 SaGa 341/10).

Vergleichbar lag der Fall hier, so dass die Dringlichkeit nicht durch das Zuwarten der Mitarbeiterin bis zum 17.12.2021 widerlegt war. Zwar wurden im Zeitraum nach der Freistellung nicht direkt Vergleichsverhandlungen zwischen der Mitarbeiterin und der Arbeitgeberin geführt. Jedoch war bereits das Verfahren zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung gem. § 103 BetrVG anhängig, in dem am 03.12.2021 zur Güte verhandelt wurde. In diesem Verfahren wird gem. § 103 Abs. 2 BetrVG durch das Arbeitsgericht die Zustimmung nur dann ersetzt, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Mithin wird hier inzident bereits über die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung vorab entschieden. Die dort zugrunde gelegten Vorwürfe entsprechen denen, welche die Arbeitgeberin auch für die einseitige Freistellung zum Anlass genommen hatte (versuchter Arbeitszeitbetrug) Somit war nachvollziehbar, dass die Mitarbeiterin erst eine mögliche gütliche Einigung abwarten wollte, da sich hierdurch ggf. auch die einseitige Freistellung durch die Arbeitgeberin erledigt hätte.

Dem Anspruch der Mitarbeiterin auf einstweilige Weiterbeschäftigung standen keine überwiegenden schutzwerten Interessen der Arbeitgeberin entgegen, da die Falschangabe der Arbeitszeit am 03.09.2021 aus Sicht des Gerichts auch auf einem schlichten Versehen der Mitarbeiterin beruhen kann.

Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 20.01.2022
Aktenzeichen: 2 Ga 3/21