Befragung aller Mitarbeiter zur Klärung eines Verdachts gegen eine Arbeitnehmer
Der gekündigte Arbeitnehmer legte Berufung gegen das Urteil ein. Er war der Ansicht, er sei durch die Art und Weise einer Mitarbeiterbefragung am 17.04. und 18.04.2023 tiefgreifend in seinem Ansehen bzw. massiv in seiner Würde und Persönlichkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verletzt worden. Dadurch, dass er betriebsöffentlich mit zahlreichen Korruptions- und Nötigungsvorwürfen in Verbindung gebracht worden sei, seien die Mitarbeiter regelrecht gegen seine Person aufgehetzt worden. Es habe sich um einen öffentlichen Rufmord gehandelt, der ihn massiv in seinen grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechten verletzt habe. Die Mitarbeiterbefragung habe keine zulässige kündigungsvorbereitende Tatsachenermittlung im Sinne des Gesetzes dargestellt: Sie sei mitbestimmungswidrig nach § 94 BetrVG sowie entgegen den Grundsätzen von Recht- und Billigkeit (§ 75 BetrVG), Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB), billigem Ermessen (§ 315 BGB) sowie unter Außerachtlassung schutzwürdiger Interessen des Klägers sowie unverhältnismäßig und grundrechtswidrig durchgeführt worden (§ 26 BDSG). Bei dem formularmäßig erstellten Katalog von mehr als 155 Fragen, der als Leitfaden für sämtliche Gespräche bestimmt gewesen sei und in den jeweils die persönlichen Daten der Mitarbeiter und deren Antworten eingetragen worden seien, stelle einen mitbestimmungspflichtigen Personalfragebogen gemäß § 94 BetrVG dar. Diesem habe der Betriebsrat nicht zugestimmt. Aus dem Verstoß gegen sein Persönlichkeitsrecht und der mitbestimmungswidrigen Verwendung des Fragebogens folge ein Beweisverwertungsverbot.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Arbeitnehmers zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers war die Verwertung der Aussagen, die in der Mitarbeiterbefragung am 17.04. 18.04.2023 erhoben wurden, nicht unzulässig. Es bestand weder ein Sachvortrags- noch ein Beweisverwertungsverbot.
Die Zivilprozessordnung (ZPO) und auch das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) enthalten keine Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein verfassungsrechtliches Verwertungsverbot nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist. Das setzt in aller Regel voraus, dass bereits durch die Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei verletzt worden ist, ohne dass dies durch überwiegende Belange der anderen Partei gerechtfertigt gewesen wäre.
Entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers verstieß die Befragung der Mitarbeiter am 17.04. und 18.04.2023 mithilfe des Fragebogens nicht gegen § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG normiert die Voraussetzungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten, die im Beschäftigungsverhältnis begangen worden sind. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG konkretisiert die Anforderung an eine zulässige Verarbeitung von Beschäftigtendaten zur Aufdeckung von Straftaten.
Die Aufklärungsgespräche unter Verwendung des Fragebogens am 17.04. und 18.04. 2023 dienten insgesamt der Aufklärung des gegen den Arbeitnehmer erhobenen Verdachts, dass dieser die vorgetragenen Pflichtverletzungen begangen habe. Ausgehend von dem gegenüber dem Arbeitnehmer bestehenden Verdacht von Pflichtwidrigkeiten sollte auch aufgeklärt werden, ob sich an den behaupteten Pflichtverstößen andere Mitarbeiter beteiligt hatten und ob die Erklärung des Arbeitnehmers richtig sei, es handele sich um ein allgemein übliches Verhalten im Betrieb und dieses Verhalten sei von Vorgesetzten gestattet worden. Die Mitarbeiter, die in dem Zeitraum vom 06.04. bis 13.04.2023 zunächst in allgemeiner pauschaler Form von Pflichtwidrigkeiten des Arbeitnehmers berichtet hatten, wollten zunächst anonym bleiben. Angesichts dessen ist der Hinweis der Arbeitgeberin berechtigt, dass die Angaben dieser Mitarbeiter auf ihre Stichhaltigkeit erst noch durch die Aufklärungsgespräche am 17.04. und 18.04.2023 überprüft werden sollten und mussten. Auch durfte die Arbeitgeberin prüfen, ob die Angaben dieser Mitarbeiter durch Erkenntnisse anderer Mitarbeiter bestätigt wurden oder sich als unzutreffend herausstellen sollten. Es war im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast eines Arbeitgebers in einem Kündigungsschutzverfahren nach dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zwingend geboten, vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung den Sachverhalt sorgfältig und erschöpfend aufzuklären.
In dem Fragenkatalog wurde der Arbeitnehmer nicht denunziert, sondern im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe war es notwendig, den Arbeitnehmer namentlich zu benennen. Zwar wurde durch die Befragung aller Mitarbeiter des Betriebes die gegenüber dem Arbeitnehmer erhobenen Vorwürfe dokumentiert und damit eine betriebliche Verbreitung der Vorwürfe ermöglicht. Auch dies war angesichts der erhobenen Vorwürfe und des Einwandes des Arbeitnehmers, sein Verhalten sei ordnungsgemäß, angemessen. Der Arbeitnehmer musste diese Folge hinnehmen, soweit die Arbeitgeberin – wie vorliegend – die durch die Befragung der Mitarbeiter gewonnenen Informationen dazu verwendet, den Beweis in einem Kündigungsschutzprozess zu führen. Die Informationen dienen lediglich der Durchsetzung rechtlich geschützter Belange der Beklagten. Datenschutz ist kein Tatenschutz (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.06.2023, Az. 2 AZR 296/22).
Insgesamt ist festzustellen, dass angesichts der Vielzahl der gegenüber dem Arbeitnehmer in dem Zeitraum vom 06.04. bis 13.04.2023 erhobenen Vorwürfe die Mitarbeiterbefragung am 17.04. und 18.04.2023 auf Basis des Fragenkataloges nach Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig war. Sie war gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig und stellte keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers dar.
Vorliegend war auch kein Sachverhalt gegeben, der aufgrund einer erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Arbeitnehmers eine ausnahmsweise Annahme eines prozessualen Verwertungsgebotes als geboten erscheinen lässt. Ob eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, muss bei mitbestimmungswidrig erlangten Informationen und Beweismitteln im Einzelfall festgestellt werden und lässt sich nicht allein mit einem Verstoß gegen § 94 Abs. 1 BetrVG begründen. Entscheidend für ein Verwertungsverbot kann allenfalls ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht sein. Wie dargelegt, war vorliegend kein Sachverhalt gegeben, der aufgrund einer erheblichen Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Arbeitnehmers eine ausnahmsweise Annahme eines prozessualen Verwertungsverbotes als geboten erscheinen ließ.
Ein prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot folgte auch nicht aus den Regelungen des BetrVG. Die angemessene Befragung der Mitarbeiter am 17.04. und 18.04.2023 verstieß auch nicht gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit (§ 75 BetrVG), gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und auch nicht gegen den Grundsatz billigen Ermessens (§ 315 BGB). Die Kündigung war auch nicht wegen mangelhafter Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.