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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Erschütterung des Beweiswerts einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Erschütterung des Beweiswerts einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers selbst ergeben. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand.

Ein Mitarbeiter war vom 01.09.2022 befristet bis zum 31.08.2024 als Omnibusfahrer bei einer Arbeitgeberin angestellt. Er war von März bis Ende August 2023 insgesamt 27 Kalendertage krankgeschrieben. In den Herbstferien 2023 sollte der Mitarbeiter mit anderen Kollegen auf neue Liniendienste eingewiesen werden. Darüber war er nicht begeistert und kommunizierte dies offen. Am 27.09.2023 wurde der Mitarbeiter zunächst bis zum 01.10.2023 und dann weiterhin bis zum 08.10.2023 mit der Diagnose „Kolitis/Durchfallerkrankung“ krankgeschrieben (12 Kalendertage). Der Geschäftsführer der Komplementärin der Arbeitgeberin und dessen Ehefrau trafen den Mitarbeiter am 28.09.2023 mit seiner Familie in einer Eisdiele an, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob der Mitarbeiter einen Milchshake verzehrt hatte.

Vom 09.10. bis zum 13.10.2023 war der Mitarbeiter wieder arbeitsfähig und nahm an einer Einweisung teil, wobei zwischen den Parteien streitig blieb, ob der Mitarbeiter während der Veranstaltung geschlafen und Musik gehört hatte. Am 16.10.2023 gab der Mitarbeiter seine Ausrüstung zurück und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung für den Zeitraum 16.10. bis zum 22.10.2023 ein. Die Arbeitgeberin zahlte dem Mitarbeiter das Gehalt für Oktober und November 2023 nur teilweise bzw. gar nicht aus. Seit dem 27.11.2023 bezieht der Mitarbeiter Krankengeld von der Krankenkasse.

Der Mitarbeiter klagte auf Zahlung von Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 01.10. bis zum 08.10.2023 sowie für den Zeitraum vom 16.10. bis zum 26.11.2023. Die Arbeitgeberin war der Ansicht, der Mitarbeiter sei vom 28.09. bis 08.10.2023 gar nicht arbeitsunfähig gewesen. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Der Mitarbeiter habe in der Eisdiele einen Milchshake verzehrt. Der Verzehr von Eis- und Milchshakes sei mit der angeblichen Durchfallerkrankung des Mitarbeiters unvereinbar. Außerdem sei der Mitarbeiter ab dem 16.10.2023 arbeitsunwillig gewesen.

Das Arbeitsgericht hatte die Arbeitgeberin zur Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 02.10. bis zum 08.10.2023 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Mitarbeiters beim Landesarbeitsgericht blieb erfolglos.

Der Mitarbeiter hatte für den Zeitraum ab dem 16.10.2023 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Denn der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war erschüttert und der Mitarbeiter hatte seine Arbeitsunfähigkeit nicht auf andere Weise nachgewiesen.

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre. Der Arbeitgeber ist nicht auf die in § 275 Abs. 1a Sozialgesetzbuch (SGB) V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts vorzutragen. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.01.2025, Az. 5 AZR 284/24). Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich vielmehr auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers selbst ergeben (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21.o8.2024, Az. 5 AZR 248/23).

Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag z.B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss zumindest laienhaft schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben.

Insofern war das Gericht davon überzeugt, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert wurde. Denn der Mitarbeiter hatte nach seinen eigenen Angaben die Ausrüstung am 16.10.2023 zurückgegeben, weil der Geschäftsführer ihn am Vortag angerufen und zur Rückgabe der Ausrüstung aufgefordert habe, weil ihm morgen gekündigt werde. Dementsprechend musste der Mitarbeiter – seine Angaben als wahr unterstellt – davon ausgehen, dass er am 16.10.2023 eine Kündigung erhalten werde. Bereits diese exakte zeitliche Koinzidenz des Beginns der Arbeitsunfähigkeit mit der Rückgabe der Ausrüstung in subjektiver Erwartung der Kündigung durch die Arbeitgeberin erschütterte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde zudem durch den Umstand erschüttert, dass die Arbeitsunfähigkeit genau zu dem Zeitpunkt begann, zu dem der Mitarbeiter die neuen Linienfahrten übernehmen sollte, für die er sich nach eigenem Vortrag nicht begeistern konnte.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 03.06.2025

Aktenzeichen: 7 SLa 54/25