Diskriminierung wegen Schwerbehinderung – Verbindung mit Agentur für Arbeit bei Stellenausschreibungen
Die Arbeitgeberin beschäftige 2024 rund 3.625 Personen. In ihrem Unternehmen gibt es einen Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung. Sie hatte am 10.02.2025 die Stelle „Abteilungsreferent Digitalisierung & Automatisierung“ ausgeschrieben. Der zuständige Sachbearbeiter setzte allerdings nicht das erforderliche Häkchen, um einen Vermittlungsauftrag an die Bundesagentur für Arbeit zu erteilen.
Der Bewerber bewarb sich am 12.02.2025 auf die ausgeschriebene Stelle bei der Arbeitgeberin. In seiner Bewerbung gab er seine Schwerbehinderung an. Am 26.02.2025 forderte die Arbeitgeberin den Bewerber zur Angabe seiner Gehaltsvorstellungen auf. Mit E-Mail vom 05.03.2025 teilte sie ihm mit, dass sie seine Bewerbung nicht weiter berücksichtigen könne. Die Arbeitgeberin lehnte auch die weiteren 518 Bewerber auf die Stelle aus unterschiedlichen Gründen ab. Sie entschied sich am 20.03.2025, bis auf Weiteres keinen Abteilungsleiter Digitalisierung & Automatisierung einzustellen.
Der Bewerber behauptete, dass zwischen der Arbeitgeberin, dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung kein Einvernehmen bestanden habe, dass grundsätzlich alle Stellen auch für schwerbehinderte Bewerber geeignet seien. Die Arbeitgeberin habe keine konkrete Prüfung durchgeführt. Sie habe die Stellenanzeige nicht an die Bundesagentur für Arbeit übermittelt. Der Sachbearbeiter habe das erforderliche Häkchen nicht nur aus bloßer Unachtsamkeit nicht gesetzt. Der Bewerber forderte von der Arbeitgeber eine Entschädigung i.H.v. 37.500 EUR gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Die Arbeitgeberin war der Ansicht, dass der Bewerber nicht benachteiligt worden sei, da sie die Stelle nicht besetzt habe und verweigerte die Zahlung. Der Bewerber klagte beim Arbeitsgericht auf Zahlung der Entschädigung.
Das Arbeitsgericht gab der Klage teilweise statt. Der Bewerber hatte gegen die Arbeitgeberin einen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 10.625 EUR.
Der Bewerber war dadurch unmittelbar i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, dass er von der Arbeitgeberin für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt worden war, denn er hatte eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es überhaupt andere Bewerberinnen und Bewerber gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob sie die Stelle angetreten haben, kam es nicht an (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 27.03.2025, Az. 8 AZR 123/24).
Der Bewerber hatte zudem ein hinreichendes Indiz i.S.v. § 22 AGG vorgetragen, das eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten ließ. Die Arbeitgeberin hatte nicht ordnungsgemäß i.S.v. § 164 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufgenommen. Es fehlte an der Erteilung eines Vermittlungsauftrags. Es lag außerdem ein Verstoß gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX mit der Folge vor, dass die Vermutungswirkung nach § 22 AGG eingriff. Auf die Schwere des Verschuldens kam es dabei nicht an. Werden die Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten schweerbehinderter Bewerber nicht eingehalten, ist dies ein Anzeichen dafür, dass sich der Arbeitgeber nicht hinreichend um die Befolgung gekümmert hat und insbesondere seine Mitarbeiter nicht genügend geschult hat.
Die Arbeitgeberin hatte die aus dem Verstoß gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX folgende Vermutung einer Benachteiligung des Bewerbers wegen seiner Schwerbehinderung nicht widerlegt. Die Kausalitätsvermutung kann zwar im Einzelfall nach § 22 AGG widerlegt sein, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der erfolglose Bewerber eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit oder den Beruf an sich ist. Diese Anforderungen hatte die Arbeitgeberin mit ihrem Vortrag im Gerichtsverfahren allerdings nicht erfüllt. Sie hatte nicht erklärt, dass sie bei der Behandlung aller Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen war.
Bei der Bemessung war ein Bruttojahresgehalt in Höhe von 85.000 EUR zugrunde zu legen. Durch eine Entschädigung in Höhe von 1,5 auf der Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdiensten wurde der Bewerber angemessen entschädigt Es waren keine Umstände erkennbar, die einen höheren Grad von Verschulden der Arbeitgeberin belegen konnten, weshalb auch keine Veranlassung bestand, die Entschädigung höher festzusetzen. Auf die Frage, ob die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG die Kappungsgrenze von drei Monatsgehältern nicht übersteigen durfte, weil der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, kam es nicht an.