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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Massenentlassungen: Fehlende Anzeige bei der zuständigen Behörde?

Massenentlassungen: Fehlende Anzeige bei der zuständigen Behörde?

Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/59 über Massenentlassungen ist dahin auszulegen, dass die Kündigung eines Arbeitsvertrags im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung, die nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der zuständigen Behörde anzuzeigen ist, erst nach Ablauf der in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 vorgesehenen Frist von 30 Tagen wirksam werden kann. Ein Arbeitgeber, der die Kündigung eines Arbeitsvertrags unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 vorgenommen hat, ohne der zuständigen Behörde die beabsichtigte Massenentlassung, in deren Rahmen diese Kündigung erfolgt, anzuzeigen, kann die fehlende Anzeige nicht in der Weise nachholen, dass damit die Kündigung 30 Tage nach der Nachholung wirksam würde.

Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und 4 der Richtlinie 98/59 über Massenentlassungen bestimmt u.a.: „Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen. Die Anzeige muss alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung und die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter gem. Art. 2 enthalten, insbesondere die Gründe der Entlassung, die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer und den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen.“

Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie lautet:
„(1) Die der zuständigen Behörde angezeigten beabsichtigten Massenentlassungen werden frühestens 30 Tage nach Eingang der in Art. 3 Abs. 1 genannten Anzeige wirksam; die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen bleiben unberührt. Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde jedoch die Möglichkeit einräumen, die Frist des Unterabsatzes 1 zu verkürzen.
(2) Die Frist des Abs. 1 muss von der zuständigen Behörde dazu benutzt werden, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen.“

Art. 6 der Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen.“

Das Bundesarbeitsgeicht  hat über die Wirksamkeit der Entlassung von zwei Mitarbeitern von zwei Unternehmen im Rahmen beabsichtigter Massenentlassungen zu entscheiden. Es hatte den Europäischen Gerichthof in diesem Zusammenhang um Auslegung der Richtlinie 98/59 über Massenentlassungen ersucht.

Erstes Verfahren
Der klagende Mitarbeiter war seit 1994 bei einer GmbH beschäftigt. Am 01.12.2020 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Am 02.12.2020 kündigte der Insolvenzverwalter den Arbeitsvertrag des Mitarbeiters zum 31.03.2021. Es steht fest, dass der Insolvenzverwalter in einem Zeitraum von 30 Kalendertagen mehr als fünf Angestellte entlassen hatte. Mit seiner Klage beantragte der Mitarbeiter die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis fortbestehe, und die Verurteilung des Insolvenzverwalters, den Mitarbeiter bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen seine Kündigung eingeleiteten Kündigungsverfahrens weiter zu beschäftigen. Die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses sei nichtig, da der Insolvenzverwalter die Massenentlassung nicht zuvor gem. § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) angezeigt habe.

Arbeitsgeicht und Landesarbeitsgericht hatten der Klage stattgegegeben. Hiergegen wandte sich der Insolvenzverwalter mit seiner Revision beim Bundesarbeitsgericht.

Zweites Verfahren
Eine Mitarbeiterin arbeitete seit 2012 als Flugkapitänin für eine Luftfahrtgesellschaft mbH, die etwa 348 Arbeitnehmer beschäftigte. Am 15.06.2020 leitete die Gesellschaft gemäß § 17 Abs. 2 KSchG mit den Personalvertretern der Flugkapitäne im Hinblick auf deren Entlassung ein Konsultationsverfahren ein. Am 30.06.2020 beschloss sie die Einstellung ihres Betriebs mit sofortiger Wirkung. Am 01.07.2020 wurde über das Vermögen der Gesellschaft ein Insolvenzverfahren eröffnet und es wurde ein Insolvenzverwalter bestellt. Am selben Tag zeigte dieser die beabsichtigte Massenentlassung der zuständigen Behörde an. Dieser Anzeige war keine abschließende Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter beigefügt. Ferner beschränkte sich diese Anzeige hinsichtlich der nach nationalem Recht alternativ möglichen Darlegung des Stands der Beratungen auf den Hinweis, dass das Konsultationsverfahren aufgenommen worden sei und fortgesetzt werde, ohne jedoch Angaben zum Inhalt der im Rahmen dieses Verfahrens geführten Gespräche zu machen. Die Behörde bestätigte den Eingang der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung mit dem Hinweis, dass sie „ausschließlich“ den Empfang der dieser Anzeige beigefügten Unterlagen bestätige.

Anfang Juli 2020 kündigte der Insolvenzverwalter dem Kabinen- und Bodenpersonal, für das keine Arbeitnehmervertretungen gebildet worden waren. Mit Schreiben vom 29.07.2020 kündigte er im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung auch die Arbeitsverträge der betreffenden Mitarbeiterin und weiterer Flugkapitäne mit einer Frist von drei Monaten. Die Mitarbeiterin erhob Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung ihres Arbeitsvertrags und des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses. Zur Stützung ihrer Klage machte sie u.a. geltend, dass das im KSchG vorgesehene Konsultationsverfahren nicht eingehalten worden sei.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten die Klage abgewiesen. Hiergegen wandte sich die Mitarbeiterin mit ihrer Revision beim Bundesarbeitsgericht.

Die Entscheidungen:

Erstes Verfahren
Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass die Kündigung eines Arbeitsvertrags im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung, die nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der zuständigen Behörde anzuzeigen ist, erst nach Ablauf der in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 vorgesehenen Frist von 30 Tagen wirksam werden kann. Die Frist läuft ab der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung bei der Behörde.

Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie sind dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber, der die Kündigung eines Arbeitsvertrags unter Verstoß gegen die erstgenannte Bestimmung vorgenommen hat, ohne der zuständigen Behörde die beabsichtigte Massenentlassung, in deren Rahmen diese Kündigung erfolgt, anzuzeigen, die fehlende Anzeige nicht in der Weise nachholen kann, dass damit die Kündigung 30 Tage nach der Nachholung wirksam würde. Im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung ist es nicht zulässig, dass der Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag vor der in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Anzeige dieser Massenentlassung kündigen kann und das Wirksamwerden der Kündigung solange ausgesetzt ist, bis die Mängel der Anzeige behoben sind.

Die Abfolge der vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Verfahren und damit die Abfolge der von ihm im Rahmen dieser Verfahren vorgesehenen Pflichten würde in Frage gestellt, wenn der Arbeitgeber die Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung nach der Kündigung der betroffenen Arbeitsverträge mittels einer solchen vorübergehenden Aussetzung bewirken könnte. Diese vorübergehende Aussetzung würde somit die Wirksamkeit der in der Richtlinie 98/59 vorgesehenen Verfahrenspflichten gefährden und deren Ziel beeinträchtigen, das darin besteht, sicherzustellen, dass den beabsichtigten Massenentlassungen eine Konsultation der Arbeitnehmervertreter und ihre Anzeige bei der zuständigen Behörde vorausgehen.

Zweites Verfahren
Art. 3 der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass der Zweck der Anzeige einer beabsichtigten Massenentlassung bei der zuständigen Behörde nicht als erreicht angesehen werden kann, wenn zum einen diese Behörde eine fehlerhafte oder unvollständige Anzeige nicht beanstandet und sich somit als ausreichend informiert betrachtet, um innerhalb der in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Frist nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen, und wenn zum anderen nach der nationalen Regelung ein Zusammenwirken des Arbeitgebers und der zuständigen Behörde vorgesehen ist, um den Eintritt von Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu begrenzen, und/oder die nationale Arbeitsagentur im Massenentlassungsverfahren zur Amtsermittlung verpflichtet ist.

Art. 6 der Richtlinie ist indes dahin auszulegen, dass im Fall einer fehlerhaften oder unvollständigen Anzeige einer beabsichtigten Massenentlassung der Umstand, dass die in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Frist von 30 Tagen nicht läuft, keine Maßnahme darstellt, die dazu dient, die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vorgesehene Anzeigepflicht i.S.v. Art. 6 der Richtlinie durchzusetzen.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30.10.2025

Aktenzeichen: C-134/24 u.a.