Fristlose Kündigung wegen bewusst wahrheitswidriger Aussagen in einem Prozess gegen den Arbeitgeber
Am 24.01.2024 hörten die Geschäftsführer der Arbeitgeberin den Mitarbeiter zu dem Verbleib der fehlenden Fahrräder und dem Verdacht von Schwarzgeldgeschäften an. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte die Arbeitgeberin gegenüber dem Mitarbeiter die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hiergegen wehrte sich der Mitarbeiter gerichtlich. Außerdem forderte der Mitarbeiter von der Arbeitgeberin eine angeblich vereinbarte Bonuszahlung in Höhe von 10.000 EUR. Als Beweis legte er ein als Arbeitsvertrag (vom 15.01.2016) bezeichnetes Schriftstück vor, das die Arbeitgeberin allerdings nicht unterschrieben hatte. Die Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters wurde der Arbeitgeberin am 07.02.2024 zugestellt. Mit Schreiben vom 21.02.2024, dem Mitarbeiter am selben Tag zugestellt, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos wegen falschen Tatsachenvortrags im Prozess. Auch hiergegen erhob der Mitarbeiter Kündigungsschutzklage.
Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben. Die außerordentliche Kündigung vom 21.02.2024 sei unwirksam, da kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorläge. Dem Mitarbeiter könne nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe im Prozess falsche Tatsachen vorgetragen. Ein vom Arbeitgeber nicht unterzeichneter Vertrag sei ohne weiteren Vortrag für sich genommen nicht dazu geeignet, einen Anspruch zu begründen. Die Behauptung eines Anspruches unterliege nicht der prozessualen Wahrheitspflicht. Hierbei handele es sich um die Äußerung einer Rechtsauffassung und nicht um einen Tatsachenvortrag. Soweit sich die Arbeitgeberin auf den Vorwurf der Schwarzgeschäfte berufe, sei schon nicht erkennbar, was die konkrete Pflichtverletzung des Mitarbeiters gewesen sein sollte.
Auf die Berufung der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage weitestgehend abgewiesen.
Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszweckes dient, kann an sich ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, können geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
Ein Arbeitnehmer, der bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt ungeachtet der strafrechtlichen Relevanz seines Handelns in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Um vorsätzlich falsche Angaben handelt es sich, wenn die Prozesspartei die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen kennt und deren Unwahrheit in ihren Erklärungswillen aufnimmt. Sie muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen.
Bei der gebotenen Anwendung vorstehender Grundsätze hatte der Mitarbeiter einen versuchten Prozessbetrug zu Lasten der Arbeitgeberin begannen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind vollendete oder auch nur versuchte Eigentums- und Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11.12.2003, Az. 2 AZR 36/03). Der Mitarbeiter bzw. sein Prozessbevollmächtigter hatten im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren wahrheitswidrig vorgetragen, um dem Mitarbeiter einen Vorteil hinsichtlich der geltend gemachten Bonuszahlung zu verschaffen.
In der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, kann eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Voraussetzung dafür ist, dass die Erklärung über die Äußerung einer Rechtsauffassung hinausgeht, die als Werturteil nicht Gegenstand einer Täuschung sein kann, und zugleich einen greifbaren, dem Beweis zugänglichen Tatsachenkern enthält. Dies ist etwa der Fall, wenn mit dem Einfordern der Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.02.2017, Az. 2 StR 573/15).