Online-Krankschreibung ohne Arztgespräch kann fristlose Kündigung rechtfertigen
Optisch entsprach die Bescheinigung weitestgehend dem Vordruck, der vor Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Muster 1b (1.2018) zur Vorlage beim Arbeitgeber durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Papierform vorgesehen war. Die auf den Namen des Mitarbeiters und unter Nennung von Adresse, Geburtsdatum und gesetzlicher Krankenkasse ausgestellte Bescheinigung vom 21.08.2024 enthielt die Angaben, dass es sich um eine Erstbescheinigung handele, der Mitarbeiter seit dem 19.08.2024 arbeitsunfähig sei und wies unter dem Feld „Arzt-Nr.“ die Bezeichnung „Privatarzt“ aus.
Am 13.09.2024 wurde die Personalabteilung der Arbeitgeberin darüber informiert, dass es sich beim AU-Bescheid des Mitarbeiters möglicherweise um eine Fälschung handeln könnte. Die Abteilung Abwesenheiten hatte zuvor erfolglos versucht, über den elektronischen Datenaustausch mit der Krankenkasse etwaige elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abzurufen. Diese lagen nicht vor. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Der Mitarbeiter erhob Kündigungsschutzklage.
Das Arbeitsgericht hatte der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Der nach § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erforderliche wichtige Grund liege nicht vor. Auf die Berufung der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Das Verhalten des Mitarbeiters war „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Durch die Vorlage der Bescheinigung zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit suggerierte der Mitarbeiter der Arbeitgeberin bewusst wahrheitswidrig, es habe zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein Kontakt mit einem Arzt stattgefunden. Dies stellte eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) dar, die aufgrund des damit verbundenen Vertrauensbruches als „an sich“ wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Ob der Mitarbeiter tatsächlich arbeitsunfähig war oder davon ausging, tatsächlich arbeitsunfähig zu sein, war insoweit unerheblich.
Die Bescheinigung erweckte für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es handele sich um eine ärztliche Bescheinigung, die aufgrund eines ärztlichen Kontakts zustande gekommen sei. Auch das äußere Erscheinungsbild der Bescheinigung verstärkte die Annahme eines ärztlichen Kontakts. Dem Mitarbeiter war auch bewusst, dass kein ärztlicher Kontakt stattgefunden hatte, ein solcher Eindruck aber durch die vorgelegte Bescheinigung bei der Arbeitgeberin erweckt werden konnte. Ihm war bekannt, dass entgegen des Inhalts der Bescheinigung keine ärztliche Untersuchung stattgefunden hatte. Zudem wurde ihm durch die Hinweise auf der Website unmissverständlich vor Augen geführt, dass es sich um eine gegen Gebühr erworbene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelte, die nicht nach den allgemeinen medizinischen Grundregeln zustande gekommen war.
Insofern hatte sich der Mitarbeiter eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen. Dieses Verhalten war geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der Beweiswert der Bescheinigung des Mitarbeiters vom 21.08.2024 war wegen der Nichteinhaltung der in § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie i.d.F. vom 07.12.2023 niedergelegten medizinischen Standards erschüttert.