Mandantenübernahmeklausel ohne Karenzentschädigung ist unwirksam
„Präambel
Die Angestellte wird zunächst im Rahmen einer Nebentätigkeit beschäftigt. Hauptsächlich ist sie während dieser Zeit als selbstständige Rechtsanwältin in eigener Sozietät tätig. Die Parteien beabsichtigen, die Nebentätigkeit mittelfristig in eine vertraglich neu zu gestaltende Vollzeitbeschäftigung umzuwandeln. Da die Angestellte noch eigene Mandate bearbeitet, ist insoweit vorgesehen, dass sie bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Ende der Probezeit keine neuen eigenen Mandate mehr annimmt und lediglich die bis dahin verbliebenen Mandate und dortigen Angelegenheiten unter Standesrechtsgesichtspunkten ordnungsgemäß beendet bzw. abwickelt.
[…]
§ 13 Nebentätigkeit
(1) Die Angestellte darf eine Nebenbeschäftigung, gleichgültig, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich ausgeübt wird, nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des Arbeitgebers ausüben. Dies gilt nicht für die dem Arbeitgeber bekannte anwaltliche Tätigkeit im Namen der Sozietät M Partnerschaft von Rechtsanwälten, für welche die Angestellte derzeit hauptberuflich tätig ist.
[…]
§ 18 Wettbewerb
(1) Die Angestellte unterliegt nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zum Arbeitgeber keinem Wettbewerbsverbot.
(2) übernimmt die Angestellte bei oder im Zusammenhang mit ihrem Ausscheiden aus den Diensten des Arbeitgebers unmittelbar oder mittelbar Mandate des Arbeitgebers, so wird sie als Entschädigung für einen Zeitraum von zwei Jahren seit dem Ausscheiden einen Betrag in Höhe von 20% ihres Gesamtumsatzes mit den betreffenden Mandanten an den Arbeitgeber abführen. Die Zahlungen sind jeweils am 1. eines Jahres für den Jahresumsatz des vorangegangenen Kalenderjahres fällig. Dies gilt nicht für Mandaten, welche ursprünglich im Vertragsverhältnis mit der Angestellten standen und zu, Arbeitgeber gewechselt sind.
(3) Die Angestellte ist insoweit auch dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber die für die Ermittlung und Berechnung der Entschädigungszahlung erforderlichen Auskünfte zu erteilen und entsprechend § 259 Abs. 2 BGB die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte an Eides statt zu versichern.“
Im Dezember 2023 sprach die Mitarbeiterin gegenüber der Arbeitgeberin eine ordentliche Eigenkündigung zum 31.03.2024 aus.
Im Zeitraum 27.12. bis 29.12.2023 war die Mitarbeiterin nicht für die Arbeitgeberin tätig. Mit Schreiben vom 12.01.2024 sprach die Arbeitgeberin gegenüber der Mitarbeiterin eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen einer aus ihrer Sicht bestehenden Selbstbeurlaubung der Mitarbeiterin aus. Mit Schreiben vom 15.01.2024, also drei Tage später, erklärte sie die Anfechtung des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags. Mit Schreiben vom 18.01.2024, mithin weitere drei Tage später, sprach sie vorsorglich eine weitere außerordentliche Kündigung mit der Begründung aus, die Mitarbeiterin habe im Monat Januar 2024 gegen das arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen. Die Mitarbeiterin wehrte sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die außerordentlichen Kündigungen. Die Arbeitgeberin ihrerseits erhob Widerklage mit dem Ziel der Auskunft und Zahlung aus der im Arbeitsvertrag vereinbarten sog. Mandantenschutzklausel.
Die Berufung der Arbeitgeberin beim Landesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg.
Auchdie von der Arbeitgeberin erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrags war unwirksam. Der Arbeitsvertrag war nicht gemäß § 142 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen der Anfechtung nichtig, denn es fehlte an einem Anfechtungsgrund. Insbesondere war keine Täuschung durch die Mitarbeiterin ersichtlich. Die Behauptung einer Schädigungsabsicht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist eine durch nichts gerechtfertigte Unterstellung. Einlassungsfähige Tatsachen hierzu hatte die Arbeitgeberin nicht vorgetragen.
Die Widerklage der Arbeitgeberin war abzuweisen, da die Mandantenschutzklausel unwirksam war . Die Vertragsabsprache in § 18 Abs. 2 und Abs. 3 des Arbeitsvertrages war als sog. verdeckte Mandantenschutzklausel wegen Umgehung der Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung (§ 74 Abs. 2 HGB) gemäß § 75d Satz 2 HGB unwirksam. Die Rechtsprechung (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11.12.2013, Az. 10 AZR 286/13) unterscheidet zwischen sog. allgemeinen Mandantenschutzklauseln auf der einen und Mandantenübernahmeklauseln auf der anderen Seite. Bei einer allgemeinen Mandantenschutzklausel ist es der Arbeitnehmerin untersagt, nach ihrem Ausscheiden mit der Beratung ehemaliger Mandanten ihres Arbeitgebers zu diesem in Konkurrenz zu treten. Allgemeine Mandantenschutzklauseln haben daher die Wirkung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, sodass §§ 74 ff. HGB Anwendung finden. Sie sind nur wirksam, wenn sie mit der Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung einer Karenzentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB verbunden sind und soweit die gesetzlich zulässige Höchstdauer von zwei Jahren nach § 74a Abs. 1 Satz 3 HGB nicht überschritten wird.
Mandantenübernahmeklauseln wurden dagegen auch ohne Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Karenzentschädigung grundsätzlich als zulässig und verbindlich angesehen, soweit sie dem Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Arbeitgebers dienen und das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unbillig erschweren. Allerdings stellt eine Mandantenübernahmeklausel ohne Karenzentschädigung dann eine Umgehung i.S.v. § 75d Satz 2 HGB dar, wenn die Konditionen so gestaltet sind, dass sich die Bearbeitung der Mandate wirtschaftlich nicht lohnt. In diesem Fall schaltet der Arbeitgeber seine frühere Mitarbeiterin als Konkurrentin aus, damit handelt es sich um eine verdeckte Mandantenschutzklausel, die die Arbeitnehmerin i.S.v. § 74 Abs. 1 HGB in ihrer beruflichen Tätigkeit beschränkt.
Um einen solchen Fall handelte es sich hier. Die hier vereinbarte Verpflichtung „20% des Gesamtumsatzes“ abzuführen ist eine deutlich härtere Regelung als die vom Bundesarbeitsgericht in der oben zitierten Entscheidung beschiedene Klausel „20% des Nettogewinns“. Wird die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Schätzung der anwesenden Prozessbevollmächtigten unterstellt, der zufolge nach Steuern und Kosten von den Gebühren und Honoraren nicht mehr als 50% als Nettogewinn übrigen bleiben, so bedeutet das bei einer Gebühr in Höhe von 100 EUR ein Nettogewinn in Höhe von 50 EUR. Als ein Anteil von 20% hiervon errechnen sich 10 EUR. Demgegenüber ist bei einer Anwaltsgebühr in Höhe von 100 EUR von einem Gesamtumsatz einschließlich Umsatzsteuer in Höhe von 119 EUR auszugehen. 20% hiervon sind 23,80 EUR, also ca. die Hälfte des Nettogewinns. Die vertraglichen Konditionen sind damit so gestaltet, dass sich die Bearbeitung der Mandate wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Damit schaltet der Arbeitgeber seine frühere Mitarbeiterin als Konkurrentin aus. Eine Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB enthält die Mandantenübernahmeklausel nicht. Sie ist daher gemäß § 75d Satz 2 HGB unwirksam.
Vieles spricht im Übrigen dafür, dass die Klausel im Übrigen auch gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam ist, denn sie ist augenscheinlich nicht „klar und verständlich“ im Sinne der Vorschrift und damit wohl intransparent.