Beteiligungspflichtige Maßnahme: Arbeitgeber muss nicht auf Funktionsfähigkeit des Betriebsrats warten
Bereits am 03.04.2025 hatte die Arbeitgeberin 32 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen aufgrund einer geplanten Verlagerung wesentlicher Teile des Betriebs. Mit den Kündigungen wurden den Gekündigten jeweils Abwicklungsverträge vorgelegt, die eine Abfindung vorsahen. Es wurden dabei auch Kündigungen gegenüber Mitarbeitern mit Sonderkündigungsschutz ausgesprochen.
Der Betriebsrat hielt die Maßnahme für sozialplanpflichtig. Dem Umstand, dass der Betriebsrat erst nach Ausspruch der Kündigungen gegründet worden sei, komme vorliegend keine Bedeutung zu. Die Arbeitgeberin habe anlässlich einer Betriebsversammlung Anfang März 2025 bewusst die Unwahrheit über den Stand der Planungen gesagt und die rechtzeitige Gründung des Betriebsrats dadurch vereitelt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle zur Aufstellung eines Sozialplans betreffend den Ausspruch von 32 betriebsbedingten Kündigungen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.
Wird in einem bislang betriebsratslosen Betrieb ein Betriebsrat erst gebildet, nachdem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, steht dem Betriebsrat nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. zuletzt Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 08.02.2022, Az. 1 ABR 2/21) kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zu. Selbst wenn sich ein Betriebsrat in Gründung befindet, muss der Arbeitgeber nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit der Umsetzung einer künftig mitbestimmungspflichtigen Maßnahme nicht zuwarten. Der Arbeitgeber darf in diesem Stadium lediglich die Gründung eines Betriebsrats i.S.v. § 20 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nicht verzögern oder behindern. Ein Betriebsrat kann und soll nach der gesetzlichen Konzeption bei Vorliegen der Voraussetzungen unabhängig von einem bestimmten Mitbestimmungstatbestand gebildet werden.
Auch der Umstand, dass einige der ausgesprochenen Kündigungen individualrechtlich (offensichtlich) unwirksam sind, machte die unternehmerische Entscheidung zur Verlagerung wesentlicher Teile des Betriebs – und damit die vorangegangene Entscheidung zur Betriebsänderung – nicht missbräuchlich, wie der Betriebsrat meinte. Täuscht der Arbeitgeber die Belegschaft über den Planungsstand betreffend eine Betriebsänderung, kann hieraus zwar eine Schadensersatzpflicht nach § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entstehen. Die Pflicht, nicht bewusst die Unwahrheit über betriebliche Planungen zu verbreiten, besteht nach ihrem Schutzzweck aber nicht zur Ermöglichung der rechtzeitigen Gründung eines Betriebsrats zur Wahrnehmung eines Beteiligungsrechts betreffend diese Planungen.
Täuschungen über tatsächliche Umstände, die ein bestimmtes Mitbestimmungsrecht auslösen können, sind nicht deshalb verboten, weil sie Einfluss auf die Willensbildung der Belegschaft zur Gründung eines Betriebsrats haben könnten. Eine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers, mit einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat vorhanden ist, enthält das Betriebsverfassungsgesetz nicht. Genauso wenig ist es dem Arbeitgeber verboten, den zunächst geplanten Beginn der Umsetzung einer Maßnahme in Ansehung einer Betriebsratsgründung zu beschleunigen. Einen „Wettlauf“, bei dem zwar die Beibehaltung des eingeschlagenen Tempos erlaubt, die Beschleunigung jedoch verboten ist, gibt es aus Rechtsgründen nicht.