Rechtsanwalt Dr. von Harbou

Vertrauen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Geben Sie mir die Gelegenheit, Sie von mir und meinen Fähigkeiten zu überzeugen. Gerne vereinbare ich mit Ihnen einen ersten Termin, in dem wir Ihr Anliegen besprechen und ich Sie anschließend über die rechtlichen Möglichkeiten, Erfolgsaussichten, Risiken und Kosten informiere.

Geschäftszeiten

Montag - Freitag 09:00 -18:00 Uhr
Samstag - Sonntag Geschlossen

Aktueller Rechtsblog

Top
Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde

Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde

Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines kirchlichen Arbeitgebers stattgegeben, die sich gegen ein Urteil richtete, mit dem das Bundesarbeitsgericht (nach Vorlage an den Europäischen Gerichtshof) den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt hatte, weil er eine konfessionslose Bewerberin für eine ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts verletzt den Arbeitgeber in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 Grundgesetz (GG) und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV), weil die bei der Anwendung der Schrankenbestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Arbeitgebers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein kirchlicher Arbeitgeber für eine konkret zu besetzende Stelle die Mitgliedschaft in der Kirche verlangen darf und inwieweit die staatlichen Gerichte dies im Hinblick auf das religiöse Selbstbestimmungsrecht überprüfen können.

Der Beschwerdeführer ist ein kirchlicher Arbeitgeber. In einer Ausschreibung für eine Projektstelle gab er u.a. an: „Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus.“ Die konfessionslose Klägerin des Ausgangsverfahrens bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle, ohne sich zu ihrer Religionszugehörigkeit zu äußern. Sie wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie erhob daraufhin Klage zum Arbeitsgericht und verlangte vom Beschwerdeführer gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung, weil sie aus religiösen Gründen benachteiligt worden sei. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt und sprach der Klägerin eine Entschädigung zu; das Landesarbeitsgericht wies die Klage ab. Ein Anspruch bestehe nicht, weil die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion jedenfalls nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG gerechtfertigt sei.

Im Rahmen des von der Klägerin angestrengten Revisionsverfahrens leitete das Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof ein. Es sei notwendig, die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrichtlinie) klären zu lassen. Der Bedeutungsgehalt dieser Bestimmung sei ausschlaggebend für die Auslegung von § 9 Abs. 1 AGG und insbesondere sei zu klären, welche Anforderungen an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gem. Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie zu stellen seien und ob den staatlichen Gerichten eine umfassende Kontrolle obliege.

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die Ablehnung eines Bewerbers mit der Begründung, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss. Die Kontrolle der Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie festgelegten Kriterien liefe ins Leere, wenn sie in Zweifelsfällen keiner unabhängigen Stelle wie einem staatlichen Gericht obläge. Bei der Auslegung des Begriffs „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung“ in Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie müssten die Gerichte einerseits beachten, dass die Legitimität des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation nicht beurteilt werden dürfe, andererseits, dass das Recht der Arbeitnehmer, wegen der Religion keine Diskriminierung zu erfahren, nicht verletzt werde. Es obliege den nationalen Gerichten zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift wie § 9 Abs. 1 AGG im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie ausgelegt werden könne oder unangewendet bleiben müsse.

Das Bundesarbeitsgericht verurteilte den Beschwerdeführer, an die Klägerin eine Entschädigung zu zahlen. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG sei nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar und müsse unangewendet bleiben. Auch § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG könne die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nicht rechtfertigen. Zwar bestehe vorliegend ein direkter Zusammenhang zwischen der beruflichen Anforderung und der ausgeschriebenen Tätigkeit. Auch unter Beachtung des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft stelle sich die Kirchenmitgliedschaft nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung jedoch nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar.

Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde des kirchlichen Arbeitgebers hatte Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf und verwies die Sache dorthin zurück.

Die Verfassungsbeschwerde war zulässig und begründet, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des religiösen Selbstbestimmungsrechts durch die Anwendung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs rügte (inzidente Ultra-vires-Rüge). Das Urteil des Bundesarbeitsgericht verletzte den Beschwerdeführer in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV), weil die bei der Anwendung der Schrankenbestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Beschwerdeführers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

Bei dem nach grundrechtlichen Maßstäben vorzunehmenden Ausgleich zwischen den Belangen religiöser Arbeitgeber und der Arbeitnehmer war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Vorlageverfahren zu berücksichtigen. Dies führte zu einer Konkretisierung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe für die Zweistufenprüfung auf der Ebene der Beschränkung des religiösen Selbstbestimmungsrechts. Die Anpassung der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts an die Vorgaben des unionsrechtlichen Rahmens war hierbei kraft des Vorrangs des Unionsrechts zwingend. Der Vorrang des Unionsrechts entfiel vorliegend auch nicht, da das Urteil des Europäischen Gerichtshofs keinen Ultra-vires-Akt darstellt. Es bestehen auch im Hinblick auf die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften im Bereich des Arbeitsrechts keine unüberwindbaren Widersprüche zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Unionsrecht.

Mangels Berücksichtigung des plausibel – und damit ausreichend – dargelegten christlichen Profils der verfahrensgegenständlichen Stelle überspannte das Bundesarbeitsgericht in der Folge bei der Anwendung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG die nach Maßgabe der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu beachtenden Vorgaben zulasten des religiösen Selbstbestimmungsrechts. Indem das Bundesarbeitsgericht seine Sicht auf die ausgeschriebene Tätigkeit und deren Zusammenhang mit der Kirchenmitgliedschaft an die Stelle der Sicht des Beschwerdeführers gesetzt hatte, wurde das Interesse des Beschwerdeführers nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise gewichtet.

Die vom Bundesarbeitsgericht geäußerten erheblichen Zweifel daran, dass die von dem Beschwerdeführer geforderte berufliche Anforderung der Zugehörigkeit zu einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche „wesentlich“ i.S.v. § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG ist, ließen die gebotene Einbeziehung des religiösen Selbstbestimmungsrechts des Beschwerdeführers nicht erkennen. Auch soweit das Bundesarbeitsgericht ausgeführt hatte, dass die vom Beschwerdeführer formulierte berufliche Anforderung nicht gerechtfertigt ist, trug es dem religiösen Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend Rechnung. Das Bundesarbeitsgericht ging davon aus, dass der Beschwerdeführer weder eine Gefahr der Beeinträchtigung seines Rechts auf Autonomie noch seines Ethos dargetan habe. Auch insoweit war nicht erkennbar, dass die Sicht des Beschwerdeführers auf den Inhalt und die Bedeutung der Aufgabe überhaupt in die Prüfung eingeflossen war.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29.09.2025

Aktenzeichen: 2 BvR 934/19