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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Online-Krankschreibung ohne Arztgespräch kann fristlose Kündigung rechtfertigen

Online-Krankschreibung ohne Arztgespräch kann fristlose Kündigung rechtfertigen

Eine online erworbene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung „ohne Gespräch“ entspricht nicht den Voraussetzungen der in § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie i.d.F. vom 7.12.2023 niedergelegten medizinischen Standards. Eine Abmahnung ist in einem solchen Fall aufgrund der Schwere des Pflichtverstoßes entbehrlich, eine fristlose Kündigung gerechtfertigt.

Ein Mitarbeiter war seit 2018 zunächst als Trainee und sodann als IT-Consultant bei einer Arbeitgeberin beschäftigt. Im Betrieb der Arbeitgeberin gibt es keinen Betriebsrat. Der Mitarbeiter hatte sich bei der Arbeitgeberin für den Zeitraum vom 19.08. bis 23.08.2024 als arbeitsunfähig erkrankt gemeldet. Er erwarb im Internet kostenpflichtig eine Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit. Auf der Website des Online-Anbieters wurde ein „AU-Schein ohne Gespräch“ und ein „AU-Schein mit Gespräch“ angeboten, wobei die Bescheinigung mit Gespräch mit höheren Kosten verbunden war. Zudem befand sich dort der Zusatz: „Beim AU-Schein OHNE Arztgespräch solltest Du Deinen Arbeitgeber sofort um Akzeptanz der AU bitten, insb. wenn er misstrauisch ist.“

Optisch entsprach die Bescheinigung weitestgehend dem Vordruck, der vor Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Muster 1b (1.2018) zur Vorlage beim Arbeitgeber durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Papierform vorgesehen war. Die auf den Namen des Mitarbeiters und unter Nennung von Adresse, Geburtsdatum und gesetzlicher Krankenkasse ausgestellte Bescheinigung vom 21.08.2024 enthielt die Angaben, dass es sich um eine Erstbescheinigung handele, der Mitarbeiter seit dem 19.08.2024 arbeitsunfähig sei und wies unter dem Feld „Arzt-Nr.“ die Bezeichnung „Privatarzt“ aus.

Am 13.09.2024 wurde die Personalabteilung der Arbeitgeberin darüber informiert, dass es sich beim AU-Bescheid des Mitarbeiters möglicherweise um eine Fälschung handeln könnte. Die Abteilung Abwesenheiten hatte zuvor erfolglos versucht, über den elektronischen Datenaustausch mit der Krankenkasse etwaige elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abzurufen. Diese lagen nicht vor. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Der Mitarbeiter erhob Kündigungsschutzklage.

Das Arbeitsgericht hatte der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Der nach § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erforderliche wichtige Grund liege nicht vor. Auf die Berufung der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien war durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Arbeitgeberin aufgelöst worden. Die Kündigung beruhte auf einem wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB.

Das Verhalten des Mitarbeiters war „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Durch die Vorlage der Bescheinigung zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit suggerierte der Mitarbeiter der Arbeitgeberin bewusst wahrheitswidrig, es habe zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein Kontakt mit einem Arzt stattgefunden. Dies stellte eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) dar, die aufgrund des damit verbundenen Vertrauensbruches als „an sich“ wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Ob der Mitarbeiter tatsächlich arbeitsunfähig war oder davon ausging, tatsächlich arbeitsunfähig zu sein, war insoweit unerheblich.

Die Bescheinigung erweckte für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es handele sich um eine ärztliche Bescheinigung, die aufgrund eines ärztlichen Kontakts zustande gekommen sei. Auch das äußere Erscheinungsbild der Bescheinigung verstärkte die Annahme eines ärztlichen Kontakts. Dem Mitarbeiter war auch bewusst, dass kein ärztlicher Kontakt stattgefunden hatte, ein solcher Eindruck aber durch die vorgelegte Bescheinigung bei der Arbeitgeberin erweckt werden konnte. Ihm war bekannt, dass entgegen des Inhalts der Bescheinigung keine ärztliche Untersuchung stattgefunden hatte. Zudem wurde ihm durch die Hinweise auf der Website unmissverständlich vor Augen geführt, dass es sich um eine gegen Gebühr erworbene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelte, die nicht nach den allgemeinen medizinischen Grundregeln zustande gekommen war.

Insofern hatte sich der Mitarbeiter eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen. Dieses Verhalten war geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der Beweiswert der Bescheinigung des Mitarbeiters vom 21.08.2024 war wegen der Nichteinhaltung der in § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie i.d.F. vom 07.12.2023 niedergelegten medizinischen Standards erschüttert.

Der Arbeitgeberin war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – nicht zumutbar. Eine Abmahnung war aufgrund der Schwere des Pflichtverstoßes entbehrlich.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 05.09.2025

Aktenzeichen: 14 SLa 145/25