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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Arbeitsvertraglicher Verweis auf einen Tarifvertrag – Inhaltskontrolle

Arbeitsvertraglicher Verweis auf einen Tarifvertrag – Inhaltskontrolle

Arbeitsvertraglich in Bezug genommene tarifliche Regelungen unterliegen nach § 310 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 307 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) keiner Inhaltskontrolle, wenn sich die Bezugnahme auf die Gesamtheit der Regelungen eines einschlägigen Tarifvertrags erstreckt. Eine beschränkte Verweisung auf einzelne Tarifnormen oder sachlich und inhaltlich zusammenhängende Regelungsbereiche oder -komplexe des Tarifvertrags führt hingegen nicht zu deren Kontrollfreiheit.

Ein Mitarbeiter, der kein Gewerkschaftsmitglied war, war seit April 2020 als Rettungssanitäter bei einer Arbeitgeberin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich nach dem DRK-Reformtarifvertrag (RTV). In § 23 des Arbeitsvertrages hieß es u.a.:

„Mitarbeiter, die bis einschließlich 31. März des Folgejahres aus eigenem Verschulden oder eigenem Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, sind mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet, die erhaltene Sonderzahlung an den Arbeitgeber zurückzuzahlen.“

Die Arbeitgeberin zahlte dem Mitarbeiter für November 2021 eine Jahressonderzahlung in Höhe von 2.767,19 EUR brutto. Am 19.01.2022 kündigte der Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2022. In einer internen E-Mail der Bereichsleitung der Arbeitgeberin vom 19.01.2022 hieß es auszugsweise:

„Herr B wäre sehr froh, wenn wir die Rückzahlung der Jahressonderzahlung auf die kommenden drei Gehälter dritteln könnten.“

Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin bestätigte die Kündigung des Mitarbeiters und kündigte nach § 23 Abs. 5 des DRK Reformtarifvertrages die Rückerstattung der im November 2021 erhaltenen Jahressonderzahlung an. Infolgedessen brachte die Arbeitgeberin von den Nettovergütungsansprüchen des Mitarbeiters für die Monate Januar und Februar 2022 jeweils 446,16 EUR und 446,17 EUR für den Monat März 2022 in Abzug.

Der Mitarbeiter verlangte die Auszahlung der vorgenommenen Abzüge. Er war der Ansicht, die Voraussetzungen von § 23 Abs. 5 RTV seien nicht erfüllt, weil seine Kündigung das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 31.03.2022 beendet habe. Unabhängig davon benachteilige ihn die Rückzahlungsklausel unangemessen und sei deshalb unwirksam. Als die Arbeitgeberin die Zahlung verweigerte, klagte der Mitarbeiter beim Arbeitsgericht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Mitarbeiters gab das Landesarbeitsgericht der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Revision der Arbeitgeberin wurde vom Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Der Mitarbeiter hatte nach § 611a Abs. 2 BGB Anspruch auf Vergütung für die Monate Januar bis März 2022 in zugesprochener Höhe. Die nach Grund und Höhe unstreitig entstandenen Ansprüche des Mitarbeiters waren nicht – auch nicht teilweise – aufgrund Aufrechnung nach § 389 BGB erloschen. Es fehlte insofern an einer Aufrechnungslage i.S.v. § 387 BGB. Die Arbeitgeberin war zu keinem Zeitpunkt Gläubigerin einer aufrechenbaren Gegenforderung. Sie hatte weder aufgrund gesonderter vertraglichen Vereinbarung noch nach § 23 Abs. 5 RTV einen Anspruch auf Rückzahlung der an den Mitarbeiter geleisteten Jahressonderzahlung.

Der Mitarbeiter hatte sich nicht unabhängig von der Geltung von § 23 Abs. 5 RTV verpflichtet, die an ihn geleistete Jahressonderzahlung zurückzuzahlen. Die Voraussetzungen eines konstitutiven Schuldversprechens (§ 780 BGB) oder Schuldanerkenntnisses (§ 781 BGB) lagen bereits deshalb nicht vor, weil es an der Einhaltung der gesetzlichen Schriftform nach § 126 BGB mangelte (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.2014, Az. 6 AZR 931/12). Der Vortrag der Arbeitgeberin trug nicht die Annahme, bei der Abrede der Parteien handele es sich um ein konstitutives Schuldversprechen oder selbständig verpflichtendes (abstraktes) Schuldanerkenntnis zu ihren Gunsten (zu den Voraussetzungen vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 05.09.2023, Az. 9 AZR 356/22).

Ein Anspruch der Arbeitgeberin auf Rückzahlung der Jahressonderzahlung bestand auch nicht nach § 23 Abs. 5 RTV. Zwar waren – entgegen der Ansicht des Mitarbeiters – deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt. Die Rückzahlungsklausel hielt aber einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB nicht stand. Sie war unangemessen benachteiligend i.S.d. § 307 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB und deshalb unwirksam. Zwar unterliegen arbeitsvertraglich in Bezug genommene tarifliche Regelungen nach § 310 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 307 Abs. 3 BGB keiner Inhaltskontrolle, wenn sich die Bezugnahme auf die Gesamtheit der Regelungen eines einschlägigen Tarifvertrags erstreckt. Eine beschränkte Verweisung auf einzelne Tarifnormen oder sachlich und inhaltlich zusammenhängende Regelungsbereiche oder -komplexe des Tarifvertrags führt hingegen nicht zu deren Kontrollfreiheit. Bereits der Gesetzeswortlaut spricht für das Erfordernis einer Globalverweisung auf den einschlägigen Tarifvertrag. Nach § 310 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 307 Abs. 3 BGB hat eine Inhaltskontrolle von vertraglichen Bestimmungen bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften zu erfolgen. Aufgrund der Gleichstellung von Tarifverträgen mit Rechtsvorschriften liegt ein Abweichen von Rechtsvorschriften vor, wenn nicht der gesamte Tarifvertrag in Bezug genommen wird (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 29.01.2025, Az. 4 AZR 83/24). Für dieses Verständnis spricht zudem die Gesetzessystematik. Für das Erfordernis, dass der Tarifvertrag in seiner Gesamtheit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden muss, sprechen schließlich auch Sinn und Zweck der Bereichsausnahme und des Kontrollprivilegs.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 02.07.2025

Aktenzeichen: 10 AZR 162/24