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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Vergütung von Fahrzeiten der Arbeitnehmer zur An- und Abfahrt von Baustellen

Vergütung von Fahrzeiten der Arbeitnehmer zur An- und Abfahrt von Baustellen

In der gemeinsamen Unterzeichnung des Protokolls einer Betriebsversammlung, in der die Vergütung von Fahrzeiten der Arbeitnehmer zur An- und Abfahrt von Baustellen (mit Ausnahme von Baustellenwechseln) auf unbestimmte Zeit in Höhe von 50% festgelegt wird – und welche zuvor befristet zu 50% und davor zu 100% bezahlt wurden – kann eine Änderung der bisherigen arbeitsvertraglichen Regelung liegen. Hierdurch ist auch ein arbeitsvertraglich vereinbartes Schriftformerfordernis gewahrt.

Ein Mitarbeiter war von 2004 bis Juni 2020 als Tischler/Monteur zu einem Bruttostundenlohn von zuletzt 13 EUR mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden bei einer Arbeitgeberin beschäftigt. In § 17 des Arbeitsvertrages war bestimmt, dass Änderungen des Vertrages der Schriftform bedürfen und auch die Abweichung von diesem Schriftformerfordernis nur schriftlich erfolgen kann.

Der Mitarbeiter war wie die übrigen Arbeitnehmer regelmäßig auf Montage auf auswärtigen Baustellen beschäftigt. Am Beginn der Arbeitswoche fuhren die Arbeitnehmer in der Regel zu zweit mit einem Firmenfahrzeug auf die Baustelle und kehrten am Ende der Arbeitswoche zurück. Bis Ende März 2005 wurden Fahrtzeiten zu 100% als Arbeitszeit vergütet. Auf einer Betriebsversammlung am 08.04.2005 wurde u.a. über Einsparmaßnahmen ab 01.04.2005 gesprochen. Ausweislich des Protokolls sollten ab April Fahrtzeiten zur Baustelle und zurück nur noch zu 50% erstattet werden. Ausweislich eines handschriftlichen Vermerks auf dem Protokoll sollte diese Regelung befristet im Jahr 2005 gelten. Am Ende des Protokolls unter der Überschrift „Kenntnisnahme der Mitarbeiter“ befand sich auch die Unterschrift des betreffenden Mitarbeiters.

Am 05.05.2006 fand eine weitere Betriebsversammlung statt. Das entsprechende Protokoll lautet auszugsweise wie folgt:

„4. Neuregelungen zum Arbeitsvertrag ab Mai 2006
– Die Fahrzeitregelung, die am 8.4.2005 beschlossen wurde, bleibt bis auf unbestimmte Zeit bestehen, die An- und Abfahrt zur Baustelle, außer Baustellenwechsel, werden weiterhin nur zu 50 % bezahlt“

Das Protokoll der Betriebsversammlung vom 05.05.2006 wurde sowohl von dem Mitarbeiter als auch von dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin unterzeichnet.

Von April 2005 bis Dezember 2019 vergütete die Arbeitgeberin die Fahrtzeiten des Mitarbeiters mit der Hälfte des vereinbarten Stundenlohns. Im streitgegenständlichen Zeitraum Oktober 2016 bis November 2019 fielen insgesamt 985,5 Stunden Fahrzeit an. Im Dezember 2019 machte der Mitarbeiter für den Zeitraum Oktober 2016 bis November 2019 weitere Vergütungsansprüche und eine Stundengutschrift für Fahrtzeiten geltend. Er war der Ansicht, keine ausdrückliche Zustimmung zu einem Änderungsvertrag abgegeben zu haben. Die bloße Kenntnisnahme von einem Protokoll der Betriebsversammlung reiche hierfür nicht.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung des Mitarbeiters blieb vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos. Zu Recht hatte das Arbeitsgericht Zahlungsansprüche des Mitarbeiters verneint und die Klage abgewiesen.

Jedenfalls mit der Unterschrift der Parteien unter das Protokoll der Betriebsversammlung vom 05.05.2006 haben sie eine zuvor bestehende Vereinbarung zur vollständigen Bezahlung der Fahrtzeiten abgeändert. Da die Arbeitgeberin unbestritten sämtliche Fahrtzeiten im streitgegenständlichen Zeitraum mit 50% des jeweiligen Stundenlohns vergütet hat, kann der Mitarbeiter eine weitere Vergütung nicht verlangen.

Ob bereits die Kenntnisnahme des Protokolls vom 08.05.2005 zu der bis Ende 2005 befristet geregelten Herabsetzung der Vergütung für Fahrtzeiten zu einer Abänderung der arbeitsvertraglichen Vereinbarung geführt hat, kann dahinstehen. Denn jedenfalls die gemeinsame Unterzeichnung des Protokolls der Betriebsversammlung vom 05.05.2006 hat die zuvor bestehende Regelung zur Vergütung von Fahrtzeiten dahingehend abgeändert, dass diese Fahrtzeiten nur noch mit 50% des Stundenlohns zu vergüten waren. In der Unterzeichnung des Protokolls liegt nicht nur die Kenntnisnahme einer vom Arbeitgeber beabsichtigten einseitigen Regelung, sondern eine Zustimmung zur Änderung der bisherigen arbeitsvertraglichen Regelung i.S. einer Vertragsänderung zu sehen. Dies ergibt die Auslegung der beiderseitigen Erklärungen, §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Die zur Begründung eines Vertrags abgegebenen Willenserklärungen sind gemäß § 133 BGB auszulegen. Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung nicht allein der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen. Maßgeblich für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen beim Abschluss von Verträgen ist aus Gründen des Verkehrsschutzes vielmehr der sogenannte objektive Empfängerhorizont. Danach ist einer Erklärung diejenige Bedeutung beizumessen, die ein objektiver Dritter in der Situation des Erklärungsempfängers verstehen durfte.

Ein Vertrag ist zudem nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB auszulegen. Danach ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien zu erforschen und der Inhalt der Vereinbarung so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit der Vereinbarung verfolgte Zweck zu berücksichtigen (BAG, Urt. v. 23.06.2016, Az. 8 AZR 643/14).

Die Vertragsänderung wahrte auch das in § 17 Abs. 2 des Arbeitsvertrages vereinbarte Schriftformerfordernis. Die Schriftform war einzuhalten. Denn selbst bei unterstellter Unwirksamkeit dieser Schriftformklausel wegen unangemessener Benachteiligung könnte sich die Arbeitgeberin als Verwender auf die Unwirksamkeit nicht berufen. Die vereinbarte Schriftform war durch die Unterschriften beider Parteien auf dem Protokoll vom 05.05.2006 gewahrt. Nach BAG-Rechtsprechung ist es auch zulässig, die Vergütung von Fahrtzeiten in abweichender Höhe zur Vergütung sonstiger Arbeitszeiten zu vereinbaren. Dieser Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 25.04.2018, Az. 5 AZR 424/17) schloss sich die erkennende Kammer des Landesarbeitsgerichts an. Ein Verstoß gegen die Vorgaben über den gesetzlichen Mindestlohn war nicht feststellbar.

Thüringer Landesarbeitsgericht vom 07.06.2022

Aktenzeichen: 1 Sa 43/21