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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews EuGH-Urteil zum Schutz von Leiharbeitnehmern

EuGH-Urteil zum Schutz von Leiharbeitnehmern

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Rechtssache Daimler zum Schutz von Leiharbeitnehmern vor missbräuchlichem Einsatz aufeinander folgender Überlassungen sein Urteil verkündet. Im Wesentlichen überlässt es danach den nationalen Gerichten die Prüfung, ob eine langfristige Überlassung eines Leiharbeitnehmers an ein Entleiherunternehmen missbräuchlich ist oder nicht.

Zum Hintergrund:

Ein Leiharbeitnehmer war zwischen 2014 und 2019 aufgrund wiederholter Verlängerungen insgesamt 55 Monate in der Motorenfertigung bei der Daimler AG im Mercedes-Benz Werk Berlin eingesetzt, ohne dass er einen Arbeitnehmer vertreten hätte. Er machte beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg geltend, dass wegen der zu langen Überlassungsdauer ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Daimler AG zustande gekommen sei. Schließlich erlaube das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) und die zugrundeliegende EU-Leiharbeitsrichtlinie nur eine „vorübergehende“ Überlassung von Leiharbeitnehmern. Das LAG stellte zunächst fest, dass das deutsche AÜG, mit dem die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104 der EU in deutsches Recht umgesetzt worden war, zwar bereits von Anfang an vorgesehen hatte, dass die Überlassung von Arbeitnehmern nur „vorübergehend“ erfolgen kann. Allerdings wurde eine maximale Überlassungsdauer, nämlich 18 Monate, erst zum 01.04.2017 in das deutsche Recht eingeführt. Von dieser Höchstüberlassungsdauer kann im Rahmen von Tarifverträgen von Tarifvertragsparteien der betreffenden Branche oder im Rahmen einer aufgrund eines solchen Tarifvertrags getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung abgewichen werden. Ebenfalls erst seit dem 01.04.2017 sieht das AÜG als Sanktion für den Fall der Überschreitung der maximalen Überlassungsdauer vor, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als zu Beginn der vorgesehenen Tätigkeit zustande gekommen gelte. Allerdings enthält die Gesetzesänderung von 2017 eine Übergangsvorschrift, nach der bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer nur die nach dem 01.04.2017 zurückgelegten Arbeitszeiten berücksichtigt würden. Außerdem sehen der hier relevante Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg vom 01.06.2017 sowie eine Gesamtbetriebsvereinbarung vom 20.09.2017, die für die Daimler AG gilt, eine maximal zulässige Überlassungsdauer von 36 Monaten vor, die ab dem 01.06.2017 bzw. dem 01.04.2017 berechnet wird. Daraus folgt nach Ansicht des LAG, dass bei einem Arbeitnehmer wie dem hier Betroffenen die Dauer seiner Überlassung bei Daimler nach der geltenden Regelung nicht so angesehen wird, als habe sie die in dieser Regelung vorgesehene Höchstdauer überschritten, obwohl sich diese Überlassung über einen Zeitraum von fast fünf Jahren erstreckt habe. Vor diesem Hintergrund ist das LAG der Meinung, dass die Klage des in Rede stehenden Leiharbeitnehmers, soweit sie auf die Feststellung gerichtet ist, dass ein Arbeitsverhältnis mit Daimler vor dem 01.10.2018 bestanden hat, nur dann in vollem Umfang Erfolg haben kann, wenn das EU-Recht dies gebietet. Unter diesen Umständen hat das LAG dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der EuGH entschied wie folgt:

1. Das EU-Recht verbietet nicht den Einsatz eines Leiharbeitnehmers auf einem Arbeitsplatz beim Entleiherunternehmen, der dauerhaft vorhanden ist und der nicht vertretungsweise besetzt wird.

2. Das EU-Recht legt selbst keine Dauer fest, bei deren Überschreitung eine Überlassung nicht mehr als „vorübergehend“ eingestuft werden kann. Ebenso wenig werden die Mitgliedstaaten durch die Leiharnbeitsrichtlinie verpflichtet, im nationalen Recht eine solche Dauer vorzusehen. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch dafür Sorge tragen, dass Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer wird.

Der Einsatz eines Leiharbeitnehmers auf demselben Arbeitsplatz bei einem Entleiherunternehmen für eine Dauer von 55 Monaten ist ein missbräuchlicher Einsatz aufeinanderfolgender Überlassungen, falls die aufeinanderfolgenden Überlassungen des Leiharbeitnehmers bei dem Entleiherunternehmen länger sind als das, was unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände einschl. Branchenbesonderheiten und im Kontext des nationalen Regelungsrahmens vernünftigerweise als „vorübergehend“ betrachtet werden kann, ohne dass eine objektive Erklärung für die aufeinanderfolgenden Leiharbeitsverträge gegeben wird. Diese Feststellungen sind von dem nationalen Gericht zu treffen.

3. Das EU-Recht verbietet eine nationale Regelung, wonach bei der Berechnung der Höchstdauer der Überlassung desselben Leiharbeitnehmers an dasselbe Entleiherunternehmen frühere (vor dem Inkrafttreten der Höchstdauer-Regelung liegende) Zeiträume nicht mitgerechnet werden und dem nationalen Gericht damit die Möglichkeit genommen wird, zu prüfen, ob die tatsächliche Dauer der Überlassung des Leiharbeitnehmers „vorübergehend“ im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie ist. Dies festzustellen, ist Sache des nationalen Gerichts. Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig ist, ist allerdings nicht allein aufgrund des EU-Rechts verpflichtet, eine solche unionsrechtswidrige Übergangsvorschrift unangewendet zu lassen.

4. Die Leiharbeitsrichtlinie enthält keine genauen Regeln für die Festlegung der Sanktionen bei dauerhafter Überlassung von Leiharbeitnehmern, sondern überlässt es den Mitgliedstaaten, diejenigen Sanktionen auszuwählen, die zur Erreichung des Ziels der Richtlinie geeignet seien. Aus dem EU-Recht ergibt sich nicht, dass der Leiharbeitnehmer bei Fehlen einer nationalen Rechtsvorschrift, die eine Sanktion für die Nichteinhaltung der Richtlinie durch Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen vorsieht, ein Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiherunternehmen hat. Es kommen aber Staatshaftungsansprüche in Betracht, wenn der Mitgliedsstaat die Leiharbeitsrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.

5. Das EU-Recht verbietet nicht eine nationale Regelung, die die Tarifvertragsparteien ermächtigt, auf der Ebene der Branche der Entleiherunternehmen von der gesetzlich festgelegten Höchstdauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers abzuweichen.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17.03.2022

Aktenzeichen: C-232/20